Grüße aus der Tiefe

»30.04.2009 Grand Banks 41°44'N; 049°57'W 2300 UTC -3«

Es war einer der letzten Tage meiner Reise auf der Rickmers Shanghai. Dieser Tag gehörte zu den Besonderen, es drehte sich alles um die Titanic. Wir überquerten den Atlantik, von Baltimore (USA) kommend mit direktem Kurs auf den Ärmelkanal. Ich hatte auf dem Schiff eine wahre Titanicmania ausgelöst. Ich wußte die ungefähre Position des Wracks und stand schon die letzten Tage mehr auf der Brücke als sonst. Ich studierte die Seekarten des Gebiets und lass die Icebergreports, die von der International Ice Patrol1) angefordert wurden. Die IIP wurde 1914 nach dem Unglück der Titanic gegründet und beobachtet heute mit modernstem Gerät die Drift der Eisberge die durch den südwärts gerichteten, kalten Labradorstrom2) an der kanadischen Ostküste entlang weit in den Atlantik getrieben werden. Entsprechend dieser "Kartografierung" sind die Grenzen der Eisfelder bekannt und nicht nur für die kommerzielle Schifffahrt von größter Bedeutung sondern auch Ölkonzerne brauchen diese Informationen dringend, um ihre Offshoreplattformen im Nordatlantik zu schützen. Wir hatten die Order vom Rickmers Headquarter diese Grenze mit einem Abstand von ca. 120 Seemeilen südlich zu umfahren. Das brachte uns zwar ein wenig von der kürzesten Route weg…

…aber führte uns ziemlich genau über die bekannte Position der Titanic (41°44'N; 049°57'W). Ich konnte es nicht glauben. Tagsüber scherzte ich ein wenig mit dem Second Officer und dem Kapitän. Ich fragte - ganz ernst - ob wir an dieser Stelle den Anker runterlassen könnten, evtl. bleibt ein Teil des Wracks am Anker hängen und wir hätten ein Stück Geschichte geborgen. Sie erklärten mir dann - ebenso ernst - dass das Wrack auf über 3.000 Metern Tiefe liegt und unsere Kette nicht so lang ist. Ach was…? Ich kam dann später auf die Idee eine Flaschenpost mit Grüßen zur Titanic zu schicken. Ich besorgte eine Plastikfolie und ließ jeden darauf mit einem wasserfesten Filzstift unterschreiben, besorgte ein leeres Marmeladenglas und stellte mit einigen aus der Crew wilde Spekulationen über den Wasserdruck in so einer Tiefe an. Wir würden die Flasche mit Wasser füllen (sonst würde sie ja nicht untergehen) aber würde das Glas es überleben, wenn sich mit der Plastikfolie ein paar Luftbläschen einschleichen würden? Da das Glas einen Plastikverschluss hatte, ging ich zwar davon aus, daß dieser die Funktion eines druckausgleichenden Membran erfüllen würde aber wer weiß schon, was da unten so los ist. Einer hatte die Idee, so kaltes Wasser wie möglich zum Füllen des Glases zu verwenden, da Wasser bei 4°C die höchste Dichte hat. Gute Idee. Aber wir lösten das Problem dann ganz pragmatisch und bohrten ein Loch in den Verschluss, dann kann Wasser rein und Luft raus. Wird schon klappen.

Das technische Konzept stand also, die Botschaft ist geschrieben, jetzt kam das größte Problem: Die genaue Position des Abwurfs. Mittlerweile war auch die Schiffsführung schon angesteckt, Strömungskarten des Nordatlantiks für den April wurden gecheckt, der Labradorstrom und die Reste des Golfstroms3) mussten als größte Faktoren für die Abdrift berücksichtigt werden. Der südwärts gerichtete, kalte Labradorstrom trifft bei der Neufundlandbank auf den in nordöstliche Richtung strömenden warmen Golfstrom und lenkt diesen nach Europa ab. Ab hier wird der Golfstrom Nordatlantikdrift4) genannt, welche durch die im Norden zunehmende Corioliskraft5) weiter nach Osten abgelenkt wird. So wirkt der Golfstrom bzw. die Nordatlantikdrift als Warmwasserheizung für Westeuropa und sorgt so für unser relativ mildes Klima in Europa. Aber das nur so nebenbei. Berechnet man dann noch die dem Golfstrom gegensätzliche Tiefenströmung mit ein wird klar, dass die Abwurfstelle nordwestlich des Wracks erfolgen musste. Aber wo genau hängt von den Strömungsgeschwindigkeiten ab, die sich mit zunehmender Tiefe ständig ändern. Die größte Unbekannte in unserem Spiel jedoch ist die Sinkgeschwindigkeit unseres Behälters und da gingen die Spekulationen doch recht weit auseinander. Von einer Stunde bis zu zwei Tagen wurden für die Reise in ca. 3.700 Metern Tiefe vorgeschlagen. Da es sich bei unserem Behälter um eine zylindrische Form handelt hielt ich abschließend, da keine Einigung in Aussicht stand, eine Dauer von 2,5 Stunden für angemessen und die genaue Abwurfstelle wurde ca. 2 Sm westlich und ca. 2,5 Sm nördlich des Zielgebiets festgelegt. Der Erste Offizier legte ca. sechs Stunden vor Erreichen der Stelle einen Ausweichkurs fest und die beharrliche "Off Track" Anzeige auf dem Radarschirm war eine Genugtuung für mich.

Um ca. 23:00 Uhr (Ortszeit) erreichten wir die Stelle, ich postierte mich am Heck des Schiffes und der dritte Offizier gab mir ein Leuchtzeichen, wenn die Position erreicht wurde. Ich ließ dann das Glas achtern etwas seitlich in das Schraubenwasser fallen, da ich mir dadurch eine sanfte Landung versprach. Da es vom A-Deck immer noch ca. sechs Meter bis zur Wasseroberfläche sind, machte ich mir das Schraubenwasser als Weichmacher zunutze, da durch das aufgewühlte Wasser die Oberflächenspannung gebrochen wird. Allerdings erregte bei dem Anblick der Wasseroberfläche etwas ganz anderes meine Aufmerksamkeit. Ich sah in unserem Kielwasser ständig kleine fluoreszierende Lichtpunkte im Wasser, welche nur kurz aufblitzten und dann wieder verschwanden aber es waren Dutzende die gleichzeitig aufblitzten. Ich verweilte noch eine Weile an der Heckreeling und schaute dem leuchtenden Treiben im Wasser zu, ich stellte mir vor, wie die Flasche langsam dem Meeresgrund entgegen glitt. Ich stellte mir die 3.700 Meter Wasser unter mir vor und wie elend klein unser Ziel wohl erscheinen mag. Aber die Lichter betrachtete ich als Gruß und Dank der ca. 1500 Toten, die die Titanic mit in ihr nasses Grab gezogen hatte. Für die Lichter gab es natürlich eine einfache Erklärung. Sie ist als Meeresleuchten bekannt und wird durch unterschiedliche Lebewesen verursacht. Für diese Gewässer typisch wäre zB eine Quallenart, bei welcher durch aufgewühlte See ein Protein der Qualle zum Leuchten anregt wird. Das Schraubenwasser befördert die Qualle außerdem an die Wasseroberfläche, wo man sie bei dunkler Nacht dann mit bloßem Auge gut erkennen kann. Aber technische Erklärung hin, wissenschaftliche Erklärung her, für mich stand zu diesem Zeitpunkt fest, einen Gruß aus der Tiefe zu erhalten und in gewisser Weise war es das ja tatsächlich. Ich war mir sicher die richtige Stelle für den Abwurf gefunden zu haben, die Quallen haben lediglich das Zielgebiet markiert.

Das war einer Momente, die ich vermutlich nie mehr in meinem Leben vergessen werde und jedes mal, wenn ich in der Zukunft einen Bericht im Fernsehen über eine Tauchfahrt zur Titanic verfolgen darf, werde ich ganz genau hinschauen … es könnte ja sein, dass da irgendwo unser Marmeladenglas mit unseren Grüßen auftaucht. Es ist zwar ziemlich unwahrscheinlich - zugegeben - aber nicht ausgeschlossen und das macht die Sache so spannend…

~~DISCUSSION:off~~