»24.11.2008 Die Nordsee 53°59’N; 07°57'E 2030 UTC +1«
Es war meine erste Nacht auf der Rickmers Shanghai. Der Kapitän verließ die Offiziersmesse nach dem Abendessen mit den Worten „It is rough outside, very rough“. Zu dieser Zeit befanden wir uns noch in der relativ geschützten Elbemündung. Aber schon eine Stunde später konnte man das Rollen und Stampfen des Schiffes spüren. Ich war zu dieser Zeit in der Lounge um mir einen Tee zu machen und der erste Offizier gesellte sich dazu um sich einen Video zu holen. Es war kurz nach 20:00 und seine Wache war gerade zu Ende. Wir scherzten ein wenig über das Wetter und er erzählte mir, wie bei einer ähnlichen Reise und schwerer See die Jacken an den Kleiderhaken bei den Rollbewegungen des Schiffes scheinbar in der Kabine zu schweben schienen. Eine lustige Vorstellung, die ich erst mal unter der Rubrik Seemannsgarn ablegte. Noch ahnte ich nicht, dass uns exakt dieses in der kommenden Nacht erwartete.
Es kam dann auch Schlag auf Schlag, die Nordsee schlug mit voller Wucht zu. It’s very rough outside: Wenn das ein Seemann sagt, hätte ich gewarnt sein müssen. Schon eine halbe Stunde später wankte ich wie betrunken durch die Gänge zu meiner Kabine und auch mein Gemütszustand glich einem Rausch. Ich war sehr amüsiert aber das war nur der Anfang. Man musste schon beim sich hinsetzen aufpassen, welche Bewegung das Schiff gerade machte. Wurde es nach oben gehoben, kam der Sitz förmlich auf einen zugeflogen und man knallt mit voller Wucht in den Sitz. Rollte das Schiff unter einem weg, war es ein sehr langer Weg in den Sitz, der erst mal nicht zu enden schien. Ein ständiges Auf und Ab, die Wände flogen auf einem zu und sobald man sich auf den Einschlag vorbereit hat, wich die Wand auch schon wieder zurück. Ein orientierungsloses Umhergleiten, zwischen Boden und Decke und zwischen den Wänden. Das Gefühl des geerdet Seins, ist einem Gefühl des Schwimmens in einer Ursuppe gewichen. Ich versuchte zu schlafen aber das ständige Rollen, welches sich bei der Lage meines Bettes um meine Längsachse bewegte, gab mir nicht die Möglichkeit eine bequeme Haltung einzunehmen. Man versucht sich mit den Händen an der Wand abzustützen bzw. an der Bettkante festzuhalten und auch die Geräuschkulisse der schepperten Schranktüren, Kleiderhaken und was sonst noch so Lärm verursachen kann, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass heute Nacht nicht an Schlaf zu denken ist. Dann, so gegen zwei Uhr morgens, ein Höllenlärm und in meiner Kabine war der Teufel los. Ich hatte plötzlich Panik, dass sich soeben mein Laptop verabschiedet haben könnte und suchte hastig nach dem Lichtschalter. Als ich endlich Licht hatte, sah meine Kabine aus wie ein Trümmerfeld - aber wo zum Teufel kam das ganze Zeug her? Mein Laptop stand noch auf dem Tisch, die Gummimatte hatte Schlimmeres verhindert. Ständig auf der Suche nach dem Gleichgewicht, konnte ich dann erkennen, was passiert war. Mein Fotostativ war umgefallen und mit einem rießen Bang in den blechernen Mülleimer gekracht, der sogleich seinen gesamten Inhalt in meiner Kabine verteilte. Okay, das geht noch, wobei ich mich schon fragte, wie lange der Müll da wohl schon im Mülleimer lag aber es war eh mehr ein Papierkorb also ging ich dieser Frage nicht weiter nach.
Aber da ich nicht wusste, ob es noch schlimmer kommen konnte, fing ich an in einer Panikattacke meinen ganzen Krempel, den ich Stunden zuvor so liebevoll platziert hatte, wieder von den Tischen und Kommoden zu evakuieren aber ich hatte keinen richtigen Plan dafür. Hilflos habe ich das Laptop in der Hand gehalten und meine Kamera gesucht, die Kamera gefunden und immer noch nicht gewusst, was ich mit dem Laptop anstellen sollte. Also habe ich alles erst mal auf den Boden gelegt und versucht einen Evakuierungsplan auszuarbeiten. Die einzig vernünftige Alternative schien meine Alukiste zu sein und so habe ich alles einfach da reingepackt und mit T-Shirts gesichert. Das ganze immer mit dem Hauptaugenmerk darauf, nicht selbst das Gleichgewicht zu verlieren. Jetzt hatte ich noch das Problem mit einem Poltern aus dem Bad und auch die Schublade unterm Bett ging ständig auf und zu. Im Bad rollte der Rasierschaum am Boden hin und her, was also auch kein bedrohliches Problem darstellte, wobei ich mich fragte, wie der da hingekommen ist? Der Rasierschaum war im Spiegelschrank und dieser war dennoch verschlossen. Klappe auf, Rasierschaum raus und Klappe wieder zu, nur so kann es gelaufen sein. Die dämliche Schublade, die mir noch den Schlaf zu rauben schien, habe ich dann mit dem Stativ gesichert, welches ich wiederum mit Schuhen und was ich sonst noch fand, gegen die Wand stabilisierte. Jetzt musste ich nur noch beim Aufstehen aufpassen, dass ich nicht über den ganzen Krempel stolpere.
An nächsten Morgen trudelten Schadensmeldungen vom ganzen Schiff ein. Gary, der Steward, war damit beschäftigt, die Offiziersmesse wieder in Ordnung zu bringen und die Besatzung konnte man beobachten, wie die herabhängenden Planen der Rettungsboote wieder festgemacht wurden. Das Wetter hat sich am nächsten Morgen wieder beruhigt aber ein leichtes Rollen ist geblieben. Der Atlantik, die Nordsee oder auch der Ärmelkanal ist doch etwas ganz anderes, wie die Adria oder die Ägäis, die ich bislang kannte. Ich wollte auf jedem Fall einen Sturm erleben und ich habe ihn erlebt, gleich in der ersten Nacht auf See. Welcome on Board…
Weiter zur spanischen Küste...
~~DISCUSSION:off~~